Trans im Alter: Interview mit Henry Hohmann

Trans im Alter: Interview mit Henry Hohmann

«Aufklären, aufklären, aufklären und das Thema weiterhin entstigmatisieren!»

Henry Hohmann (*1962) ist promovierter Kunsthistoriker, trans Aktivist und Mitgründer des Transgender Network Switzerland (TGNS). Hohmann arbeitet als wissenschaftlicher Redaktor bei der Abegg-Stiftung in Riggisberg BE. Als trans Mann engagiert er sich für mehrere queere Organisationen. 2019 wurde ihm für seine Verdienste der europäische Tolerantia Award überreicht. Hohmann lebt mit seinem Mann in Bern.

Henry Hohmann (Foto: Lucia Hunziker)

Weisst du, wie es hochaltrigen trans Menschen heute geht und wie sie zum Beispiel in einer Altersinstitution zurechtkommen?

Henry Hohmann: Die Generation von trans Menschen, die jetzt im Altersheim ist, hat so lange im Verborgenen gelebt und überwiegend zu einer Zeit transitioniert, als Trans-Sein noch ein grosses Tabu war. Oft sind sie froh, dass sie heute unerkannt ein ganz normales Leben führen können, sodass sie eigentlich keinen Kontakt mehr zur heutigen Community haben. Das macht es sehr schwer, sie aufzufinden oder als Zeitzeug:innen zu befragen.

Das klingt traurig, gibt es vom TGNS niemand, der sich um diese Menschen kümmert?

Das Thema Alter ist uns sehr wohl als grosses und wichtiges Thema bewusst und es wird in den kommenden Jahren unbedingt mehr Platz auf unserer Agenda erhalten müssen – zumal wir alle ja nach und nach in diese Altergruppe hineinrutschen und damit die persönliche Betroffenheit und das Interesse steigt. Doch in der Aufbauphase von TGNS haben wir uns zunächst eher auf das Thema trans Kinder und Jugendliche fokussiert, um dort überhaupt erst einmal für das Thema zu sensibilisieren und grundlegende Beratungsmöglichkeiten aufzubauen.

«Dass nicht alle Menschen diese Operation wollten und dass einige bis heute die Spätfolgen schlechter und misslungener Operation tragen müssen, ist empörend.»

Die meisten trans Menschen haben im Laufe ihres Lebens bittere Erfahrungen mit Diskriminierung und Stigmatisierung gemacht – in ihren Familien, am Arbeitsplatz, im Gesundheitswesen. Was ist zu tun, damit sich dies ändert?

Kurz gesagt: Aufklären, aufklären, aufklären und das Thema weiterhin entstigmatisieren!

Bis vor wenigen Jahren wurde in der Schweiz und anderswo von einem trans Menschen vor einer Geschlechtseintragsänderung eine geschlechtsangleichende Genitaloperation verlangt. Teilweise noch zu Zeiten, als die entsprechenden Operationstechniken noch nicht sehr ausgereift waren. Was weisst du über solche Menschen?

Zum Glück ist diese menschenrechtsverletzende Praxis endlich vorbei! In der Tat wurden Menschen genötigt, einen schwerwiegenden Eingriff vornehmen zu lassen, um rechtlich in ihrem wahren Geschlecht anerkannt zu werden. Das scheint heute geradezu absurd, war aber bis vor 10 bis 15 Jahren hier (wie in vielen weiteren Ländern weltweit) die Regel. Dass nicht alle Menschen diese Operation wollten und dass einige bis heute die Spätfolgen schlechter und misslungener Operation tragen müssen, ist empörend. Erste Länder, wie zum Beispiel Schweden, haben sich für diese Praxis entschuldigt und entschädigen trans Menschen mittlerweile mit einem finanziellen Beitrag.

Was müssen Pflegende bei alten, genitaloperierten trans Menschen beachten?

Egal, ob genitaloperiert oder nicht: Grundsätzlich geht es um einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit der Person, der auch alle intimen Vorgänge in der Pflege umfasst. Es gibt auch keine einfache Antwort darauf, da die Operationsergebnisse sehr unterschiedlich sein können und manchmal vielleicht nicht einmal gemerkt wird, dass das Geschlechtsorgan durch einen medizinischen Eingriff entstanden ist. Viel interessanter erscheint mir aber die Frage, wie mit trans Menschen umgegangen wird, die keine genitalangleichende Operation gemacht haben. Ich kann mir vorstellen, dass Pflegekräfte mit diesen Personen mehr Probleme haben könnten, die in ihren Augen Merkmale beider Geschlechter haben und dadurch verunsichert sind. Zu bedenken ist ebenfalls, dass trans Menschen, die eine Hormontherapie machen, diese Hormone oft über Jahre und Jahrzehnte erhalten und auch weiterhin damit gut eingestellt werden müssen. Und auch dazu gibt es noch kaum Langzeitforschung.

Wie kann ein trans Mensch gewährleisten, dass er seine Würde bewahren kann, auch wenn er einmal dement oder nicht mehr ansprechbar sein wird?

Wenn die Institution oder der Pflegedienst weiss, dass es sich um eine trans Person handelt – was ja nicht immer der Fall sein muss –, dann ist auf jeden Fall der gewünschte Name und die entsprechende Anrede zu wahren. Sicher ist es von Vorteil, wenn sich auch die trans Person rechtzeitig Gedanken zu dem Thema macht und vielleicht bestimmte Dinge schriftlich festlegt. Letztlich sollte aber der würdevolle Umgang mit der Geschlechtsidentität der Person eine Selbstverständlichkeit sein.

Wie stellst du dir dein eigenes Leben im hohen Alter vor? Könntest du dir vorstellen, in ein normales Alters- oder Pflegeheim einzutreten? Oder wäre dir ein queerer Lebensort wie der geplante von queerAltern lieber?

Ich bin da etwas zwiegespalten und möchte eine auf queere Menschen spezialisierte Institution nicht als eine erneute Aussonderung von queeren Menschen im Alter verstehen. Mir wäre sicherlich ein durchmischtes, diverses Heim mit Menschen aller Ausrichtungen und Identitäten – auch beim Pflegepersonal – sehr lieb. Hauptsache, ich finde genügend Menschen, mit denen ich mich über über eine Opernaufnahme freuen kann und am Abend dennoch ein paar Folgen «Golden Girls» schauen kann...! Für Menschen jedoch, die aus ihrem Leben die Narben der Ausgrenzung und des lebenslangen Andersseins tragen müssen, kann eine queere Institution auch ein Safe Space sein, wo man sich nicht verbiegen und verstecken muss.

Zurzeit besteht bei der heteronormativen Gesellschaft – zum Teil auch bei der queeren Community – Konfusion über die vielen Formen von Geschlechtern und sexuellen Ausrichtungen, mit denen sich die Menschen definieren. Manche sagen, die queere Community treibe es damit heute zu weit.

Nein, die queere Community treibt es nicht zu weit, wenn Dinge, die bislang nie benannt wurden und früher ins Abseits und Verborgene gedrängt wurden, endlich einen Namen erhalten und (mehr oder weniger) frei gelebt werden können. Denn all dies hat immer schon existiert. Nur die Begriffe erscheinen neu, daher verstehe ich schon, dass dies verwirrend sein kann und bei manchen zur Ablehnung führt. Aber ist dies nicht bei allem Neuen so? Die Vehemenz, mit der die Diskussion manchmal auf beiden Seiten geführt wird, darf nicht vergessen lassen, dass wir immer noch Teil derselben Community sind und wir alle die Erfahrung von Ausgrenzung und Anderssein in uns tragen.

Möchtest du noch etwas ergänzen?

Das ist doch eine gute Gelegenheit, Euch von QueerAlter mal von Herzen für Eure tolle aktivistische Arbeit zu danken!

Die Fragen stellte Christian Wapp. Das Interview wurde schriftlich geführt.