Trans im Alter: Interview mit Jenny, Lena und Nadia
«Wertschätzung beruht nicht auf Verständnis, sondern auf Durchsetzung»
Gespräch mit den trans Frauen Jenny, Lena und Nadia. Unser Thema: trans im Alter. Jenny ist Innenarchitektin, geboren 1958, Lena ist Lichtdesignerin, geboren 1969, und Nadia ist Ingenieurin, geboren 1966. In ihren Berufen sind die drei Frauen sehr erfolgreich, privat sind sie eng befreundet und leben im Raum Zürich. Das Gespräch protokolliert hat Christian Wapp, Vizepräsident von queerAltern.
Jenny und Nadia an einer Zurich Pride
Wir treffen uns am 1. Februar 2022 bei Jenny im Zürcher Kreis Unterstrasse. Nadia und Christian bringen etwas Sprudelndes zum Trinken mit. Lena deckt den Tisch mit Leckereien. Jennys 16-jähriger Kater, Herr Nils, hüpft von einem Schoss zum andern, um sich Streicheleinheiten zu holen. Das Gespräch dreht sich um Fragen, wie sich die drei Frauen ihr Leben im Alter vorstellen – und, was es bei der Betreuung von alten Menschen zu beachten gilt.
Jenny, Lena, Nadia, wie stellt ihr euch euer Alter vor?
Nadia: Ich beobachte, wie heute alte Leute leben, und mache mir dazu Gedanken, wie es einmal für mich sein könnte, wenn ich betagt bin. Wir sind jetzt in einem Alter, in dem unsere Eltern alt sind. Oder unsere näheren Verwandten, Gotte oder Götti. Bei den einen denkt man, das wäre ein Modell für mich. Bei den andern findet man es schrecklich, wie alte Leute weggesperrt und irgendwie versorgt werden. Was wir in unserem heutigen Alter machen können, ist, dafür zu sorgen, dass es für uns später eine Verbesserung gibt
Was würdest du verbessern?
Nadia: Ich würde Strukturen schaffen, damit alte Menschen menschlicher betreut werden. Meine Mutter kam jetzt in ein Alterszentrum. Und dieses verlangt, dass sich die Bewohner:innen sehr vielen Regeln unterwerfen, die den Leuten ein Stück Freiheit nehmen. Das muss nicht sein. Meine Mutter fühlt sich zwar wohl, doch würde ich ein Alterszentrum anders strukturieren und die Menschen weniger isolieren. Es sollte möglich gemacht werden, ein Alterszentrum in einem Mehrgenerationenhaus zu integrieren. Dann würden die alten Menschen zusammen mit jüngeren wohnen. Es gäbe Gemeinschaftsräume, es gäbe Angebote für gemeinschaftliche Aktivitäten, es würden ein paar Hunde oder Katzen herumstreunen. Dass die Bewohner:innen ihr Hündchen nicht überall mit ins Alterszentrum nehmen dürfen, gefällt mir gar nicht. Das würde ich ändern.
Jenny: Bei mir ist das Alter ja schon etwas näher. Ich stelle mir mein Leben im Alter ähnlich vor wie Nadia. Meine Mutter ist jetzt 92 Jahre alt. Sie will von einem Altersheim noch gar nichts wissen. Sie lebt ganz allein, ist vielleicht ein wenig verbohrt. Für mich stellt sie ein Beispiel dar, wie ich es persönlich nicht haben möchte. Aktuell stehe ich vor der Entscheidung, wann ich aus dem Erwerbsleben aussteigen soll. Ich stehe vor einem Übergang, vor dem es zu überlegen gilt: Möchtest du noch etwas Neues in Angriff nehmen? Oder arbeitest du im Job weiter? Ich weiss, der bevorstehende Übergang kann auch eine Chance sein, doch er macht mir etwas Angst.
«Ich fürchte, an einem Ort zu landen, in dem kein Wissen und Verständnis über trans Menschen vorhanden ist.»
Einerseits altern wir alle und müssen uns mit dem Altern auseinandersetzen. Doch die Altersinstitutionen, das Pflegepersonal und das medizinische Personal ist nun mal auf die heteronormative Gesellschaft ausgerichtet und nicht auf queere Menschen. Was lesbische cis-Frauen oder schwule cis-Männer sind, begreift die Gesellschaft langsam, ob sie nun akzeptiert werden oder nicht. Doch trans Menschen, intergeschlechtliche Menschen, nonbinäre Menschen gelten nach wie vor als Exot:innen, um es mal so auszudrücken, für die noch nicht viel Verständnis aufgebracht wird. Welche Gedanken macht ihr euch dazu?
Lena: In unserem heutigen Alter haben wir unsere Berufe, unser Umfeld. Wir können tun und lassen, was wir wollen. Leben vielleicht in einer Blase. Doch wie wird es sein, wenn wir einmal pflegebedürftig werden? Wenn wir in ein Heim müssen, ganz gleich, in welcher trans Form wir uns dann befinden? Es ist zu hoffen, dass Transidentität einmal als Normalität angesehen wird. Dass man respektiert wird. Dass man einen normalen Alltag bestreiten kann. Das beschäftigt mich und bereitet mir Sorgen. Ich fürchte, an einem Ort zu landen, in dem kein Wissen und Verständnis über trans Menschen vorhanden ist. Plötzlich wirst du wieder zurückgeworfen an den Anfang, als du mit der Transition begonnen hast.
Habt ihr eine Vorstellung, wie ihr dieser Falle entgehen könnt?
Nadia: In der Ausbildung des Gesundheitspersonals sollte es, so wie es andere Pflichtfächer gibt, auchein Pflichtfach geben über die Betreuung von Menschen, die nicht heteronormative Lebensformen leben. Das betrifft nicht nur trans oder queer allgemein. Das kann auch eine fremde Herkunft betreffen, eine fremde Religion. Das Personal sollte fähig sein, mit allen Menschen einen offenen, natürlichen und unvoreingenommen Umgang zu pflegen. Wir befinden uns eigentlich in einer guten Zeit. Wenn ich zehn Jahre zurückblicke, hat sich viel getan. Ich habe Vertrauen, dass sich diese erfreuliche Entwicklung fortsetzt. Heutige hochaltrige trans Personen haben wahrscheinlich wenige erfreuliche Erfahrungen gemacht. Ich hoffe, dass wir es einmal besser haben werden. Wir haben noch Zeit, daran zu arbeiten, sodass sich die Gesellschaft verändert und wir im Alter besser behandelt werden. Wir können in der Öffentlichkeit darüber kommunizieren und vermitteln, dass wir normale Menschen sind und eine andere Form von Alterswohnen möchten.
Jenny: Ich bin leider weniger optimistisch. Obwohl viele Organisation und Einzelpersonen daran arbeiten, habe ich den Eindruck, dass wir noch weit davon entfernt sind, voll akzeptiert zu werden. Kleinste gesellschaftliche Veränderungen machen für Minderheiten viel aus. Es gilt, diese Veränderungen zu forcieren. Wertschätzung beruht nicht auf Verständnis, sondern auf Durchsetzung. Theoretisch ist ja vieles möglich, doch im Alltag stehen trans Personen oft vor unüberwindbar scheinenden Hürden – in ihren Familien, bei Arbeitgeber:innen, Geschäftspartner:innen, Ämtern, im Gesundheitswesen. Auf unsere Bedürfnisse einzugehen, scheint zu kompliziert, zu aufwendig. Schnell heisst es: «Was wollen die denn jetzt noch … Wir sind ja offen für vieles, aber …» Und so weiter. Um bei der Pflege zu bleiben: Wenn man abhängig wird von einer Pflegeperson, dann darf diese durchaus eine andere Meinung haben als der zu Pflegende, doch sie muss verpflichtend eine wertschätzende Haltung einnehmen. Trans Menschen sollten so respektvoll behandelt werden wie jeder andere Mensch auch. Es geht dabei auch um ein gemeinsames gesellschaftliches Lernen.
Diesbezüglich haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Queere Organisationen haben in den letzten Jahren verschiedene Studien in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie es bezüglich LGBTIQ+-Wissensvermittlung in der Pflegeausbildung steht. Und dabei wurde festgestellt, dass diesbezüglich kaum etwas vorhanden ist.
Lena: Ja, leider besteht noch ein grosser Nachholbedarf. Die gesellschaftliche Entwicklung verläuft sehr langsam.
N: Ich bin noch nicht so lange Mitglied von queerAltern, doch nehme ich an, dass der Verein in Sachen Öffentlichkeitsarbeit schon viel gemacht hat und macht und dabei für alle spricht, ob trans, intergeschlechtlich, lesbisch, schwul, bisexuell, nonbinär, asexuell … Trans Menschen haben in Sachen Öffentlichkeitsarbeit auch das Transgender Network Switzerland (TGNS), das sich für unsere Anliegen einsetzt. Wir haben viele queere Organisationen, die alle dazu beitragen, unsere Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen.
Ich habe den Eindruck, dass all diese Organisationen in der Regel sehr gut zusammenarbeiten. queerAltern im Speziellen hat den Espenhof initiiert, den queeren Lebensort, in dem bis 2025/26 drei Pflegewohngruppen und 26 Alterswohnungen entstehen werden. Zusammen mit der Stiftung für Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) und den Gesundheitszentren für das Alter (GZA) wirkt queerAltern an der Entwicklung dieses Projekts mit. Wir haben Mitspracherecht in allen Bereichen, was vertraglich festgehalten ist, und arbeiten mit diesen Partnerinnen in verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen.
Nadia: Das ist eine Entwicklung in die richtige Richtung.
queerAltern gibt in Sachen Queerness und Lebensvielfalt zudem Weiterbildungen in verschiedenen Schulen, an Universitäten, für Pflegeinstitutionen. Wir werden immer öfter für solche Kurse oder auch für Inputreferate an Workshops angefragt. Wir werden für die Espenhof-Pflegewohngruppen auch beratend mitreden können bei der Auswahl des Personals, und wir werden auch Weiterbildungen organisieren
Jenny: Diese Ausbildungsmodule gibt es bereits und können je nach Bedarf angepasst werden. Ich habe selbst an einem queerAltern-Modul in der Höheren Fachschule für Studierende mit der Fachrichtung Sozialarbeit in Olten mitgewirkt.
Anderes Thema: Was alles unter dem LGBTIQ+-Label segelt, ist vielen nicht bekannt. Trans wird oft als Spleen abgetan und wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst ab Anfang 2022 nicht mehr als geistige Krankheit eingestuft. Vor allem alte trans Menschen oder intergeschlechtliche Menschen haben oft eine lange schmerzliche Leidensgeschichte mit dem Gesundheitswesen hinter sich – bei medizinischer oder psychologischer Betreuung. Sie wurden nicht verstanden, diskriminiert, ihre Lebensform wurde negiert. Deshalb fürchten sie sich auch vor schlechten Behandlungen in so genannt normalen Altersinstitutionen.
«Du stehst nun mal als trans Mensch ausserhalb der Norm, und wenn du pflegebedürftig und abhängig von einer Betreuung wirst, wirst du damit konfrontiert, dass du dich der Pflegenorm unterwerfen musst.»
Jenny: Diesem Schicksal können wir vielleicht noch entgehen, in der Hoffnung, die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Du stehst nun mal als trans Mensch ausserhalb der Norm, und wenn du pflegebedürftig und abhängig von einer Betreuung wirst, wirst du damit konfrontiert, dass du dich der Pflegenorm unterwerfen musst.
Wie meinst du das genau?
Jenny: Die gesellschaftliche Norm bietet den Pflegenden Sicherheit. Wenn dann Menschen in ihre Obhut kommen, die dieser Norm nicht entsprechen, müssen sich die Pflegenden mit einer Gruppe von Menschen auseinandersetzen, die sie vorher nicht gekannt haben. Das ist mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden.
So nach dem Stil: Wir haben ohnehin zu wenig Zeit für die Betreuung, und jetzt müssen wir uns auch noch mit Menschen befassen, die nicht der Norm entsprechen?
Jenny: Ich versuche, die Frage zu beantworten, wie man diesem Dilemma der Pflegenden begegnen könnte. Wir können dem jetzt, da wir noch fit und gut drauf sind, gesellschaftlich begegnen, indem man entsprechende Vorstösse von queerAltern oder anderen queeren Organisationen unterstützt.
Nadia: Der Espenhof ist ein guter Anfang, und dieser könnte als Modell dienen für andere Projekte. Die einen sagen, ein Lebensort für ältere Menschen ist toll, die andern, das braucht es nicht, das ist doch ein Ghetto. Es sollte künftig auch möglich gemacht werden, dass man in einem anderen Alterszentrum eine queere Gruppe bildet, die ebenfalls sichtbar ist. Das könnte zum Beispiel eine rosa Etage sein.
Den Espenhof gibt es ja demnächst nur in Zürich. Die Idee des Espenhofs könnte sich auf andere Regionen ausbreiten. Bereits haben Basler:innen kürzlich queerAltern Region Basel gegründet.
Jenny: Es könnten sich übers ganze Land verteilt kleine Cluster bilden mit queeren Abteilungen. Im Grunde genommen wünschen wir uns nicht Exklusivität, sondern Normalität. Sollte es in einer Alterssiedlung von Zürich einen rosa Cluster geben, würde ich liebend gerne dorthin ziehen.
Nadia: Ich habe heute nochmals die Urskzizze ((Link)) von queerAltern hervorgekramt, so wie sich queerAltern bei der Gründung den queeren Lebensort vorgestellt hat. Und ich habe mich gleich wieder in diese Skizze verliebt. Dass man im selben Haus bleiben kann, in dem man wohnt, auch wenn man pflegebedürftig wird, gefällt mir. Dass man nicht herumgeschoben wird. Dass man ein Zuhause hat bis zum Ende. Herumgeschoben zu werden hat ohnehin niemand gerne. Doch für trans Menschen ist Herumgeschoben werden viel schwieriger als für andere, weil wir uns stets aufs Neue outen müssen.
Trans Menschen werden wie alle Menschen vor dem Alterungsprozess nicht verschont. Gibt es für trans Menschen zusätzliche gesundheitliche Probleme im Alter, zum Beispiel wegen langjähriger Hormonbehandlung? Oder nach genitalangleichenden Operationen? Mit welchen Beschwerden oder Spätfolgen ist zu rechnen? Ich habe danach auch die Ärzte und Experten David Garcia Nuñez und Niklaus Flütsch gefragt, und sie schrieben mir, wenn man sich periodisch untersuchen lasse, dann gebe es bei Hormontherapien kaum Nebenwirkungen, allenfalls bestehe eine leicht erhöhte Gefahr für Thrombosen. Bei Operationen komme es auf die Qualität der durchgeführten Operation an. Auch da seien regelmässige Kontrollen sehr wichtig. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Aber ich will euch nicht zu nahe treten
Nadia: Nein, nein, wir können über alles reden! Ich kann auf 15 Jahre zurückblicken. Man merkt schon am Anfang, dass die Hormone keine Placebos sind, man spürt die Wirkung schnell. Und wenn man sich dabei wohl fühlt und in seinem Körper zuhause ist, dann merkt man, dass man die richtige Entscheidung getroffen hat. Danach geht man jedes Jahr zur Kontrolle, man checkt die Blutwerte. Das ist seriös, das muss man tun. Dann wird die Dosierung auch jedes Mal justiert.
«Man stellt die Hormone so ein, dass man schön in der Mitte durchfliegt.»
Ich weiss darüber wenig. Handelt es sich um ein einziges Hormon, oder um einen Cocktail von Hormonen?
Nadia: Cocktail klingt etwas verrückt. Es handelt sich bei trans Frauen nur um zwei Wirkstoffe: um Östrogen, das den Östrogenspiegel hebt, und um einen Testosteronblocker, der das Testosteron unterdrückt. Diese beiden stellt man so ein, dass man schön in der Mitte durchfliegt.
Jenny: Schön gesagt! Es geht darum, herauszufinden, wie du dich physisch wohl fühlst und du psychisch nicht auf die Achterbahn gerätst.
Kann die Hormondosierung demnach auch die Psyche beeinflussen?
Nadia: Ja klar, besonders am Anfang wird man etwas dünnhäutiger, man geht durch mehr Höhen und Tiefen. Doch das gleicht sich mit der Zeit aus, die Gefühlslage pendelt sich ein. Man fühlt sich befreit. Das Testosteron ist beim Mann ja sehr dominant, es hat ihn im Griff. Das möchten wir nicht mehr. Wir sind froh, nicht mehr dieses Aggressive in uns zu haben, sondern das Flachere, Sanftere.
Seit Anfang 2022 kann man im Personenstandsregister den Namen und den Geschlechtseintrag sehr unbürokratisch ändern.
Jenny: Ja, es kostet 75 Franken. Aber damit verbunden ist viel mehr und dahinter steckt ein langer Weg mit inneren und äusseren Veränderungen und vielen Widerständen. Das Gewählte wird öffentlich und sichtbar.
Nadia: Den Geschlechtseintrag ändern konnte man schon vorher, doch braucht es heute dazu keinen Gerichtsentscheid mehr.
Bis vor wenigen Jahren konnte man doch den Geschlechtseintrag erst nach einer geschlechtsangleichenden Operation ändern.
Jenny: Das stimmt. Du musst heute, wenn du nicht willst, keine Hormone mehr nehmen oder dich operieren lassen. Das ist ein grosser Fortschritt. Gleichwohl ist es noch ein weiter Weg bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz.
Nadia: Wer sich vor zwanzig Jahren für eine geschlechtsangleichende Operation entschied, ging am besten ins Ausland. Nach Thailand, in die USA oder nach Deutschland.
Jenny: Es freut mich, dass die Ärzte David Garcia Nuñez und Niklaus Flütsch sagen: Macht euch keinen Stress. Das wirkt entspannend.
Der Psychotherapeut Udo Rauchfleisch, Verfasser mehrerer Fachbücher über Transsexualität und Transidentität, sagte, dass sich viele Menschen erst in einer späteren Lebensphase für eine Transition entscheiden würden. Es würde dann eine Last von ihnen abfallen, und sie würden im Alter viel glücklicher sein, als sie es vor ihrem Coming-out waren.
Jenny: Das kann ich nur unterstreichen!
Nadia: Ja, wir drei haben auch eine Weile gebraucht, bis wir uns entschieden haben. Vom ersten schüchternen Coming-out bis hin zum festen Entschluss, eine Hormontherapie zu starten und ein Leben als Frau zu führen.
Wie Jenny vorher angetönt hat, geht es also auch ohne geschlechtsangleichende Massnahmen?
Lena: Ja, ich habe mich noch nicht dazu entschieden. Eigentlich wünsche ich mir eine Hormontherapie, doch habe ich mich noch nicht dazu durchgerungen oder bin noch nicht dazugekommen. Ich will mir Zeit lassen.
Jenny: Wir wollen die Freiheit haben, uns ohne Druck entscheiden zu können. Wir sind die Kapitäninnen unserer Geschichten. Und auf der See, auf der wir fahren, möchten wir nicht ständig Sturm haben. Wir wünschen uns eine schöne, ruhige Rundfahrt wie alle andern Menschen. Ich möchte mir meine gute Entwicklung nicht in Gefahr bringen lassen. Wir sind viel unterwegs, wir nehmen teil am gesellschaftlichen Leben und sind so lange aktiv, wie es unsere Kräfte erlauben.
In ein, zwei Jahrzehnten hat die gesellschaftliche Entwicklung vielleicht wieder einen Ruck
Jenny: Nun ja, gesellschaftliche Entwicklungen gehen ja stets in die eine oder andere Richtung. Wir müssen dranbleiben oder wie Ernst Ostertag in Bezug auf einen Lebensort für queere Menschen sagt: machet fürschi! – einfach in unserem Bereich.
Lena: Die Gesellschaft sollte so weit kommen, dass alle möglichen Spielformen von Geschlecht und Sexualität möglich sind und akzeptiert werden. Ich bin so, wie ich bin, wie auch immer ich aussehe, ob eher feminin oder eher männlich oder etwas dazwischen. Ob meine Seele ein anderes Geschlecht oder gar kein Geschlecht hat.
Gibt es noch etwas, das ich nicht gefragt habe oder ihr noch sagen möchtet?
Nadia: Wir haben eigentlich alle Themen angetönt. Was mir einfach besonders wichtig ist, dass wir bis ins hohe Alter selbstbestimmend leben dürfen. Wir sind erwachsene Menschen. Wir sind das jetzt und sind es auch, wenn wir älter sind. Wir wollen uns nicht bevormunden lassen, selbst wenn wir alt und gebrechlich sind. Das gilt für alle Menschen. Daran müssen wir arbeiten. Neulich sprach ich mit einem jungen Mann, der eine Lehre als Pflegefachperson im Altersheim angefangen hat. Der hat die Lehre abgebrochen. Man hatte ihm vorher versprochen, auf welche Weise er mit den alten Menschen arbeiten könne. Nachher bei der Arbeit sei er nur noch den Taxpunkten hinterhergerannt. Er habe sich keine Zeit mehr nehmen können, und das habe ihn extrem gestresst. Bei Effizienzprogrammen hätten Freiheiten oder Gespräche, die etwas Zeit brauchen, keinen Platz mehr.
Lena: Für uns wäre wohl eine Alters-WG oder das Leben in einem Mehrgenerationenhaus, wie anfänglich erwähnt, am besten. Die meisten von uns haben keine Familien gegründet. Unsere Familie sind unsere Freundinnen und Freunde. Wenn man mit diesen in einem Haus leben könnte, könnte man sich auch gegenseitig helfen und unterstützen.
Ganz im Sinne der Caring Community, die wir bei queerAltern aufgebaut haben und auch im Espenhof pflegen werden. Es gibt Genossenschaften wie Kraftwerk oder Kalkbreite, die auch die Möglichkeit von Cluster-Wohnungen für WGs anbieten. Demnächst in der Koch-Überbauung, wenn gehalten wird, was versprochen wurde. Diese Genossenschaften sind auch offen für die LGBTIQ+-Community.
Nadia: Es gibt immer auch die finanziellen Aspekte zu berücksichtigen. Es ist in der Stadt Zürich nicht leicht, an erschwinglichen Wohnraum zu gelangen.
Wobei günstiger Wohnraum in einer Genossenschaft noch am ehesten möglich ist.
Nadia: queerAltern implementiert jetzt den Espenhof. Aber man kann durchaus noch weiterdenken und eine Möglichkeit erschliessen, damit es etwas Gehobeners geben könnte für Menschen, die bereit sind, etwas mehr zu bezahlen. Espenhof ist etwas Einfaches, das sich die meisten leisten können. Viele Mittelständler:innen möchten im Alter ihre Ansprüche nicht zurückschrauben, sondern ihr Niveau behalten. Und deshalb könnte ich mir vorstellen, dass queerAltern auch für solche Menschen etwas in Angriff nimmt.
Im Espenhof muss niemand seine Ansprüche zurückschrauben. Es ist eher die Frage des individuellen Budgets, wie hoch das Niveau sein wird. Der queerAltern-Vorstand ist mit der Entwicklung des Espenhof-Projektes und mit all den anderen Projekten ziemlich ausgebucht. Anfang 2021 hat sich eine Gruppe von queerAltern-Mitgliedern, alles Top-Fachleute aus dem Immobilienbereich, bereit erklärt, in einer neuen Immobiliengruppe mitzuwirken. Inzwischen haben wir für diese Arbeitsgruppe auch eine Leiterin gefunden: Salome Zimmermann. Sie wurde an der GV 2022 vorgestellt.
Nadia: Wenn man ein geeignetes Objekt findet, das sich finanzieren lässt und man dafür den Zuschlag erhält, wird das ein seltener Glücksfall sein. Sollte mal je ein Objekt gefunden werden, sehe ich keine Probleme darin, Menschen aus der Community zu finden, die dort leben möchten und Anteilscheine zeichnen.
Es hat jedoch unter trans Menschen viele, die sich teuren Wohnraum nicht leisten können. Gerade trans Menschen wurden in ihren Berufen viel stärker diskriminiert als zum Bespiel Lesben oder Schwule. Die Ablehnung der Gesellschaft ist viel grösser. Viele trans Menschen konnten beruflich nicht Fuss fassen, und für sie droht Altersarmut.
Lena: Leider ein grosses Problem, das du ansprichst.
Nadia: Ich verstehe den Espenhof als einen Ort, an dem auch solche Menschen aufgefangen werden können. Wo sich Menschen mit Ergänzungsleistungen eine Wohnung leisten können. Ich nehme an, dass im Espenhof niemand durch die Maschen fällt.
«Unser Lebensmotto lautet: Lieber gemeinsam statt einsam.»
Ein Teil der Wohnungen wird subventioniert angeboten. Es wird nicht ersichtlich sein, welche Vermögenskategorie die einzelne Wohnung zugeordnet werden kann. Die Architektur, der Innenausbau, die Materialien entsprechen durchaus einem ästhetischen und qualitätiven Standard. Klar, es werden keine Luxuswohnungen entstehen.
Nadia: Unser Lebensmotto lautet: Lieber gemeinsam statt einsam. Und deshalb sind wir auch bei queerAltern dabei und unterstützen gemeinschaftliche Aktivitäten.
Jenny: Das sagst du schön! Gemeinsam statt einsam! Das ist nicht nur unser Thema. Man muss einfach rausschauen und sich fragen, was da falsch läuft.
Es geht doch darum, dass man mit Menschen zusammen ist, mit denen man gerne zusammen ist, die einen für voll nehmen und unsere Lebensformen als selbstverständlich betrachten. Das ist für euch so, das ist für alle so. Menschen, die für uns kein Verständnis haben, können wir nicht aus der Welt schaffen.
Jenny: Man muss ihnen subtil beibringen, wie es hier läuft. Man muss sie weiterbilden.
Wie schon gesagt: Im Espenhof wird queerAltern Einfluss haben auf die Auswahl des Personals in den Pflegewohngruppen und auch Weiterbildungen machen.
Lena: Im Grunde genommen sollte es auf Dauer gar keinen Espenhof mehr brauchen, auch keine queeren Cluster sonstwo. Das wäre mein Wunschdenken. Dass alle Menschen alle akzeptieren.